Ein neues Interview unserer Reihe wartet auf dich: Frag den Profi!
In dieser Episode sprechen Joyce Regnier von Praxis-Profi und Annika, Rasmus und Theresa – Mitglieder der Initiative HochschuleJetzt! – über das Vorhaben, die Ausbildung der Therapieberufe zu einer Vollakademisierung zu wandeln.
Schau dir hier das ganze Interview an, um mehr über die Arbeit und Ziele der Studierenden-Initiative zu erfahren!
Das ist HochschuleJetzt!
Joyce:
Hallo und herzlich Willkommen zu unserem Format #FragdenProfi! Für das heutige Interview spreche ich mit Rasmus, Annika und Theresa von der Initiative HochschuleJetzt! Du fragst dich wahrscheinlich, was ist überhaupt “HochschuleJetzt!”? Ein Netzwerk von Studierenden aus therapiebezogenen Studiengängen, welches sich für die Vollakademisierung der Therapieberufe einsetzt. Die Frage ist natürlich: Wie ist dieses Netzwerk überhaupt zustande gekommen? Wie kann man sich das ganze vorstellen? Deswegen würde ich sagen, gebt uns doch gerne einmal einen kurzen Einblick in euer Netzwerk, indem ihr euch aber natürlich auch erst mal vorstellt und sagt, wie ihr dazu gekommen seid.
Annika:
Ich bin Annika, ich bin 30, Ergotherapeutin, Berufspädagogin und gerade Masterstudentin an der FH Münster. Ich bin in das Netzwerk gekommen, nachdem sich das schon durch die Initiatoren formiert hatte. Es ist so entstanden, dass Studierende an verschiedenen Hochschulen sich darüber gewundert haben, warum es mit den Berufsgesetzen, der Akademisierung und alldem nicht schneller vorangeht. Dann hatten einige die Idee, sich in einem Netzwerk zu formieren und zu vernetzen, um zu schauen: Was können wir tun, um die ganze Idee voranzutreiben?
Ich selber bin erst Anfang des Jahres dazu gekommen, als die Basis schon stand. In den ersten Treffen war ich total überwältigt, wie viele Studierende sich dafür interessieren, engagiert sind und eine Meinung und Haltung haben. Das hat die Irritation, die dann im Studium kam, als man sich mit der Professionalisierung und dem Ganzen auseinandergesetzt hat und versucht hat zu verstehen, wie das Bildungssystem in unserem Fall funktioniert - da hatte man irgendwie so ein bisschen “Fridays for future”-like, dass man dachte: “Hey, wie kann es sein, dass keine Entscheidung in die Richtung geht?" Also es war für mich irgendwie gefühlt so offensichtlich, dass das die Lösung ist. Genau, so bin ich zum Netzwerk gekommen.
Rasmus:
Ich bin Rasmus, bin 24 Jahre alt und bin Physiotherapeut. Ich habe zuletzt meinen Bachelor an der Hochschule Emden-Leer gemacht, habe dann ein Jahr in der Praxis gearbeitet und bin dann Anfang des Jahres nach Köln gezogen, um hier meinen Master in Sportphysiotherapie an der Sporthochschule in Köln zu machen. Zu dem Projekt HochschuleJetzt! bin ich durch eine Freundin aus Süddeutschland gekommen, die auch ihren Bachelorabschluss gemacht hat und die ich während der Ausbildungs- und Studiumszeit kennengelernt habe. Beschlossen mich zu engagieren habe ich deshalb, weil ich das Bedürfnis habe und dass ich spüre, dass sich in den Therapieberufen etwas ändern muss und dafür möchte ich mich engagieren.
Theresa:
Ich bin Theresa, bin 23 Jahre alt und habe Logopädie studiert in Erlangen. Das war ein Modellstudiengang, da habe ich studiert und die Ausbildung quasi gleichzeitig gemacht und ich bin auf das Netzwerk aufmerksam geworden durch eine Instagram-Werbung tatsächlich. Ich hatte mich vorher schon in einer Fachschafts-Initiative engagiert auch zu dem Thema Akademisierung, weil im Studium wird einem dann klar, dass es da noch viel Bedarf gibt, sich zu engagieren. Deswegen war das Netzwerk HochschuleJetzt! für mich der nächste Schritt. Ich komme jetzt im Master an und werde Versorgungswissenschaften studieren. Das ist einfach eine tolle Möglichkeit, sich auch mit den anderen Professionen richtig gut zu vernetzen.
Im Netzwerk insgesamt sind wir Physiotherapeut:innen, Ergotherapeut:innen und Logopäd:innen. Wir sind auch vom Alter durchmischt - also es gibt Personen, die haben erst ihre Ausbildung gemacht und es gibt Personen, die haben grundständig studiert. Manche sind jetzt im Master und wenn man dann mit einem Master fertig ist, dann kann man auch noch quasi stiller Unterstützer oder Senior Supporter werden - ist dann im Netzwerk noch integriert. Uns ist auch ganz wichtig, dass jeder mit seiner eigenen Stimme spricht - also wir sprechen zusammen für die Akademisierung, aber wir sind ein Netzwerk und jetzt keine Organisation, die jetzt nur eine Position vertritt. Also bei uns ist jeder mit seiner individuellen Meinung und Haltung auch sehr willkommen.
Was aktuell falsch läuft
Joyce:
Cool! Also ihr habt ja auch gerade schon so ein bisschen angefangen zu erzählen, wie ihr überhaupt dahin gekommen seid. Aber die Frage ist natürlich auch noch mal zusammengefasst: Welche Probleme haben euch denn überhaupt zu diesem Vorhaben gebracht? Was konntet ihr persönlich als Studierende feststellen? Ich habe nämlich auch gelesen, dass die Ausbildung in den Therapieberufen im Ausland teilweise ganz, ganz anders abläuft: Wo seht ihr persönlich denn den “Fehler” in unserem Bildungssystem hier in Deutschland?
Annika:
Also bei mir war das so: Ich habe einen Bildungs-Studiengang im Bachelor gemacht und dann lernt man viel darüber, wie das Bildungssystem in Deutschland insgesamt organisiert ist - also allgemeinbildend, berufsbildend - und dann fragt man sich immer: “Okay, aber wo passen wir jetzt rein?” Es wird irgendwie klar, wir sind - ich sage immer liebevoll so die Einhorn-Bildungsgänge, die irgendwie so halb durch das Gesundheitswesen und halb durch das Bildungswesen strukturiert und reglementiert sind. Dann kriegt man ganz schnell das Gefühl, dass es nicht immer sinnvoll organisiert ist. Lange Zeit war es bei uns so, dass man, um den Beruf zu erlernen, vor allem an privaten Schulen die Ausbildung machen konnte und man dafür bezahlen musste.
Da hat sich in den letzten Jahren einiges verändert: In vielen Bundesländern ist die Schulgeldfreiheit gekommen, zum Teil werden Auszubildende, Lernende und auch Studierende, die an Krankenhäuser angekoppelt sind, sogar dafür vergütet, dass sie die Ausbildung dort machen. Insgesamt habe ich den Eindruck, dass sich kein roter Faden durch das Ganze zieht, also es werden nicht strukturell die veralteten Berufsgesetze verändert, sondern es wird immer wie eine Art Flickenteppich verändert mit der Hoffnung, dass sich ja noch mehr junge Menschen für den Beruf begeistern lassen. Gerade wenn man dann mal schaut, wie komplex die Behandlungen von unseren Klienten sind und welche Qualitätsansprüche an uns gestellt werden gesetzlich im SGB 5 - dann fragt man sich: “Okay, können wir eigentlich so ausbilden? Also ist eigentlich gesichert, dass z.B. jede Ergotherapeutin wirklich eine gute Behandlung qualitativ, so wie sie gefordert ist und auch menschlich geboten ist? Ist es eigentlich gesichert, dass das alle können?” Und das hängt aus meiner persönlichen Sicht und meiner bisherigen Erfahrungen von den Schulen und dem Bildungssystem ab. So wie es bei uns zu trifft, hängt das ganz viel davon ab, ob man Glück hat, ob man an die richtige Schule kommt und ob an der Schule sehr engagierte Lehrer sind, die obwohl die Berufsgesetze bzw. die Ausbildungs- und Prüfungsordnungen einem da auch zum Teil Steine in den Weg legen, quasi trotzdem eine so gute Ausbildung anbieten, dass sie gut für Ergotherapeut:innen jede therapeutische Situation optimal nutzen, damit der Patient effektiv und effizient seine Ziele erreicht, gesund wird, wieder arbeiten kann, wieder seine Rolle z.B. als Mutter einnehmen kann. Ob ich das als Ergotherapeutin nach drei Jahren Ausbildung kann, hängt extrem davon ab, in welcher Schule ich war und ob dort engagierte Lehrer waren. Das ist gesetzlich nicht gut strukturiert und reglementiert und da sehe ich ein ganz großes Problem, da steht und fällt der Erfolg.
Theresa:
Ich würde dazu noch mal was aus der Perspektive der Studis sagen. Meine Ausbildung ist noch nicht lange her, also ich habe sie dieses Jahr erst beendet und ich kann mich noch ziemlich gut daran erinnern, wie ich nach dem Abitur dastand und gesagt habe: “Ich arbeite gern mit Menschen, ich arbeite gerne mit Kindern, ich find Sprache super toll. Das ist für mich ein Traumberuf, ich finde auch diese Arbeit am Menschen, mit dem einzelnen Menschen zu arbeiten, eine super Sache. Aber jetzt muss ich mich informieren, wo ich da die Ausbildung oder das Studium machen kann.”
Natürlich die erste logische Überlegung ohne berufspolitischen Hintergrund jetzt: Ich habe jetzt schon mein Abitur, dann kann ich ja auch studieren. Dann sucht man Studiengänge und merkt, dass ein Studiengang bis zu viereinhalb Jahre dauern kann, bis ich meinen Bachelor habe. Das dauert ja bei allen anderen nur drei Jahre, wenn ich jetzt erst mal meine Ausbildung mache. Dann sagt man: Ich könnte auch eine Ausbildung machen. Ich habe mich auch bei privaten Schulen beworben und es war Glück, wo ich hingekommen bin, wo ich halt einen Platz bekommen habe und dementsprechend wäre meine Ausbildung vielleicht auch komplett anders verlaufen, ich hätte jetzt keinen Master machen können und es hätte auch sein können, dass ich mich für den akademischen Sprachtherapie-Studiengang entscheide und dann letztendlich mit einer Teil-Zulassung dastehe und z.B. keine Patienten mit Schluckstörung behandeln kann, weil es in diesem Studiengang nicht vorgesehen war. Aber mein Fachgebiet ist jetzt zum Beispiel palliative Logopädie, also für sterbende und schwerstkranke Menschen - da ist es total wichtig. Das kann man einfach nicht überblicken und das ist zu undurchsichtig, wenn man anfängt sich zu informieren. Dann muss das irgendwie greifbar und verständlich sein und das macht dann die Attraktivität auch besser von den Studiengängen und den Berufen.
Rasmus:
Aus physiotherapeutischer Sicht muss man sagen, dass das Problem eigentlich schon damit anfängt, dass wir uns auf ein Berufsgesetz von 1994 beziehen – das MPhG und alleine das zeigt ja eigentlich schon einen Veränderungsbedarf, weil wenn ein Gesetz so lange unverändert besteht, wo immer noch eine Ausbildung vorgesehen wird, dann entspricht das einfach nicht dem Wandel der Zeit. In nahezu allen europäischen Ländern ist es so, dass Physiotherapie und da spreche ich glaube ich auch für die Ergotherapie und Logopädie, akademische Berufe sind - der Bachelorabschluss ist ein Standardabschluss. Das ist in Deutschland einfach nicht die Realität. Somit muss man ganz klar sagen, wir hinken gerade im internationalen Vergleich bzw. dem europäischen Vergleich auf jeden Fall hinterher und das führt am Ende dazu, dass Therapeuten mit einem Berufsabschluss und auch zum Teil mit Bachelorabschluss, die in Deutschland erworben wurden, nicht im europäischen Ausland arbeiten können. Das verwehrt jungen Therapeuten natürlich zum einen den Wunsch nach einem Auslandsjahr, nach einem Auslandssemester, was viele vielleicht ja auch schon sowieso nach dem Abi machen, aber was ihnen dann während ihrer Ausbildungs- oder Studienzeit verwehrt bleibt und das geht natürlich nicht nur Zulasten der Attraktivität des Berufs oder der Ausbildung in diesen Berufen, sondern führt am Ende auch dazu, dass es nicht wirklich zu einem optimalen internationalen, europäischen Ausgleich kommen kann.
Was die Vermittlung der Kenntnisse in den Berufsfachschulen angeht, muss man aus physiotherapeutischer Sicht sagen - was auf jeden Fall auch eine Kritik ist - immer noch überwiegend passive Maßnahmen gelehrt werden und aktive Maßnahmen aus der Trainingslehre bei mir zum Beispiel in meiner Ausbildung, ich habe das dual studiert damals, dafür nur 30 Stunden vorgesehen waren. Wo man einfach sagen muss, das ist eigentlich der Bereich, wo wir Menschen die Aktivität zurückbringen wollen, dann müssen wir auch aktiv mit ihnen arbeiten und müssen auch wissen, wie wir Gewebe belasten können. Da haben wir eigentlich die besten Wirkungsnachweise, dass das was wir machen mit den Patienten, dass das auch eine Wirkung zeigt und dementsprechend sieht man wieder, dieses Berufsgesetz muss überarbeitet werden und wir müssen hin zu einer Akademisierung kommen, wo sich einfach das ganze Curriculum in der Physiotherapie in der Ausbildung – ich denke, da spreche ich auch für die anderen beiden Berufsgruppen - sich verändern muss.
Das sind die Forderungen an die Politik
Joyce:
Dann erstmal vielen Dank für die Ausführungen! Also ich habe jetzt schon gemerkt, da sind ja einige Schmerzpunkte bei euch. Deswegen noch mal die Frage: Was wünscht ihr euch genau jetzt für die Zukunft bzw. was muss sich ändern? Was sind eure Forderungen an die Politik?
Annika:
Wir haben uns in unserem Positionspapier, was wir vor einer Weile veröffentlicht haben, auf eine Forderung geeinigt, wo der Großteil unserer Mitglieder hinter steht: Die Primärqualifizierung, also die grundständige Qualifizierung, um die Berufszulassung zu bekommen im Sinne einer Vollakademisierung - also alle Berufsangehörigen sollten in Zukunft aus unserer Sicht, so ist unsere Forderung, um beruflich tätig sein zu können mindestens mit dem Bachelor qualifiziert sein. Uns ist dabei wichtig, dass die guten Aspekte, die es definitiv gibt in einer Ausbildung - also unsere Ausbildung ist nicht per se schlecht, sonst hätten wir nicht so gute Behandlungserfolge in unseren Berufen und hätten nicht so gute Therapeuten. Zum Beispiel der hohe praktische Anteil in unseren Ausbildungen, zwar in unterschiedlicher Höhe, aber den wir alle haben, der muss erhalten bleiben. Das muss nicht auf die Zahl genau aus unserer Sicht so bleiben, aber wir fordern nicht ein Studium, was ausschließlich im Hörsaal stattfindet, sondern wir haben schon gute Modellstudiengänge erprobt und in diese Richtung stellen wir uns das vor, dass alle Therapeuten mindestens mit einem Bachelor qualifiziert werden, der an Hochschulen und Universitäten angedockt ist und wo wir nach wie vor viel Zeit in der Praxis verbringen und im Beruf am Patienten erlernen.
Da geht quasi auch unser Ziel hin: Wir glauben, dass ein zukunftsfähiger Therapieberuf nur dadurch funktionieren kann, dass wir reflektierte Praktiker haben. Das ist unser Ziel, dass wir bachelorqualifizierte, reflektierte Praktiker haben, die möglicherweise gerade auch schon an Berufsfachschulen ausgebildet werden, aber die dann nicht die Qualifikation am Ende bekommen, die sie möglicherweise inhaltlich könnten. Wir glauben, dass wir da eine Vereinheitlichung brauchen und damit die Gesundheitsversorgung in Zukunft gewährleistet werden kann, sehen wir Lösung in einer grundständigen Vollakademisierung aller Therapeuten auf Bachelor-Niveau.
Rasmus:
Da kann ich mich Annika erst mal nur anschließen. Also was in Zukunft als aller erstes einmal passieren muss, ist, dass der Bachelorabschluss in Zukunft der Standard-Abschluss für die Therapieberufe wird, einfach um damit die Attraktivität der Therapieberufe steigern zu können und auch die Positionen der Therapieberufe im Gesundheitswesen zu kräftigen. Man muss zusehen in diesen Berufen, dass man eine eigenständige Profession wird, dass man wegkommt von diesen medizinischen Hilfsberufen oder noch schlimmer, von den sogenannten nicht medizinischen Berufen. Das alleine ist ja schon höchst fragwürdig, wenn man Menschen danach betitelt, was sie nicht sind. Also ich denke, dass die Fähigkeit und auch die Wissenschaft in den letzten Jahren in Therapieberufen durchaus gezeigt hat, dass Therapie wichtig ist und auch ihren Stellenwert hat und sie neben der Medizin oder neben den Medizinern als eigenständige Profession herausgestellt werden sollte und werden muss und sich dann entwickeln muss, weil noch ist sie das nicht.
Aber was muss dafür passieren in Zukunft? Am Ende müssen Therapeuten, die einen akademischen Abschluss gemacht haben, ganz egal ob es Bachelorabschlüsse, Masterabschlüsse oder was auch immer sind, die müssen einen Mehrwert dafür erhalten. Der könnte zum Beispiel so aussehen, dass es in der Physiotherapie für akademisierte Therapeuten in Zukunft einen Direct Access gibt oder dass gegebenenfalls auch Zertifikatpositionen wegfallen würden - als Beispiel, wie auch immer man das dann ausgestalten würde. Nur am Ende muss sich eine höherwertige oder eine Ausbildung, in die man mehr Zeit steckt, auch rentieren für denjenigen, der sie in Kauf nimmt, weil so ist das am Ende für die Therapeuten wieder mal eine Nullnummer. In Zukunft kann es aus unserer Sicht auch nicht sein, dass Therapeuten teure Zertifikate erwerben müssen, um am Ende bestimmte Therapieformen - sowie Theresa das in der Logopädie mit der Schluckstörung zum Beispiel gerade hervorgebracht hat - anwenden zu dürfen. Das ist einfach ein Hindernis und auch das steht wieder mal der Attraktivität der Berufe im Weg.
Theresa:
Ich würde jetzt noch etwas sagen, dass vielleicht auch für Praxisinhaber:innen zusätzlich relevant ist, weil eine Akademisierung, die muss natürlich auf diesen Basislevel der Bachelorabschlüsse stattfinden, aber auch die Personen, die sich dann entscheiden einen Masterstudiengang zu machen oder vielleicht sogar zu promovieren, auch diese Personen haben für diese Gemeinschaft der Therapeut:innen für diese Berufsfelder und für die Menschen, die ganz konkret in Praxen arbeiten, eine sehr große Relevanz. Denn derzeit ist es so, dass in vielen Entscheidungsgremien, in hohen Entscheidungsgremien, in politischen Entscheidungsgremien, keine Heilmittelerbringer sind, weil sie eben die Ausbildung gemacht haben und dann, um Geld zu verdienen, müssen sie arbeiten in ihrer Praxis. Da gab es nicht viel Luft, um sich irgendwie groß Gedanken über politische Theorien und Anliegen zu machen häufig und wenn man Menschen diese Zeit gibt, sich damit zu beschäftigen zum Beispiel in Master- oder Doktor-Ausbildungsprogrammen, dann können diese Menschen auch diese entscheidenden Stellen bei Krankenkassen oder in politischen Gremien besetzen und dann auch bessere oder einfach sinnvollere Entscheidungen treffen für die Heilmittelerbringer, die dann in der Praxis arbeiten, Leistungskataloge überarbeiten, die interdisziplinäre Zusammenarbeit verbessern. Wenn man gemeinsam an einem Tisch auf einer Ebene sitzt mit Mediziner:innen oder Vertretern der Krankenkassen, dann kann es auch an der Basis sehr viel verändern.
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Kritik an der Vollakademisierung?
Joyce:
Ich verstehe eure Punkte auf jeden Fall. Wir haben ebenfalls auf unserem Instagram-Account vor kurzer Zeit eine Umfrage zu eben genau diesem Thema gemacht: 71% der Befragten halten die Vollakademisierung der Therapieberufe absolut für sinnvoll, allerdings auch knapp 29% für eher nicht zielführend. Wieso glaubt ihr, bestehen denn hier auch noch allgemein Zweifel? Was ich mich auch frage: Würde diese Umsetzung, wie ihr das jetzt anstrebt, nicht auch Leuten, den Job verwehren, die zum Beispiel kein Abitur haben, aber ansonsten alle nötigen Kompetenzen mit sich bringen? Würde das nicht teilweise auch zu einem noch größeren Nachwuchsmangel führen?
Rasmus:
Da würde ich einfach mal direkt anfangen auf die Frage zu antworten bzw. die Frage erstmal umzudrehen, weil die Frage ist eigentlich: Warum haben wir einen Nachwuchsmangel? Da müsste man sich vielleicht fragen: Könnte das nicht vielleicht an den widrigen Bedingungen in den Berufen liegen, was Bezahlung angeht, was die eben angesprochenen Zertifikatspositionen angeht, was vielleicht auch die wenige Zeit am Patienten betrifft, die man hat - speziell in der Physiotherapie? Könnten da nicht auch die Gründe liegen für den Nachwuchsmangel? Müssten wir vielleicht nicht anfangen, die Strukturen, wie wir es eben schon mal gesagt haben, Leute in die höheren Positionen bringen, die mit Krankenkassen verhandeln, die am Ende Entscheidungen treffen, die ganze Berufsstände betreffen, dass wir erst mal die Umstände ändern müssen, bevor wir darüber reden können, was am Ende zu diesem Nachwuchsmangel führt. Aus unserer Sicht liegt das Problem eher da, dass wir einen Nachwuchsmangel haben.
Momentan muss man einfach sagen, dass eine Akademisierung der Therapieberufe mit Sicherheit der vielversprechendste Ansatz ist, um die Therapieberufe attraktiver zu machen und voranzubringen. Auf der anderen Seite wissen wir auch, immer mehr Leute machen ein Abitur, immer mehr Leute gehen studieren. In einem letzten Netzwerktreffen mit einem Dozenten von der Hochschule Osnabrück, hat er auch noch mal ganz klar dargestellt, dass die Nachfrage gerade an den therapiebezogenen Studiengängen, ganz egal ob das Physio, Ergo, Logo ist - dass die Nachfrage gerade auch dort einfach stetig steigt und dementsprechend ist das aus unserer Sicht kein Punkt, der der Entwicklung der Berufe entgegensteht und zum Nachwuchsmangel führt, sondern ganz im Gegenteil, der eigentlich nur positive Seiten für die Therapieberufe hätte.
Annika:
29% Zweifel ist jetzt aus meiner Sicht ein deutlich geringerer Anteil der Befragten. Also wenn ich höre, 70% halten es für eine gute Idee, dann spiegelt das meine Wahrnehmung aus den Gesprächen, die ich mit alten Kollegen oder aktuellen Kollegen führe, total wider. Ich kann das auch verstehen. Ich kann verstehen, dass es Zweifel, Sorgen und Ängste gibt, Diskussionspunkte wie Übergangsregelungen oder was passiert mit Therapeuten, die seit 30 Jahren arbeiten und kein Bachelor-Abschluss haben, was passiert mit denen? Das sind Fragen, die man klären muss und da diskutieren wir auch innerhalb des Netzwerks, wie wir dazustehen. Es gibt aber auch Lösungen dazu, also wir sind ja auch nicht das erste Land, die diese Berufe akademisiert und letztlich zeigen diese Zweifel und Sorgen für mich persönlich, dass dass Leute sind, die gerne diesen Beruf weiter machen wollen und die auch davon überzeugt sind, dass sie gute Arbeit machen. Mit Sicherheit tun sie das auch.
Nun müssen wir uns fragen: Wo geht dieser Beruf hin? Also wie wird der bestehen bleiben in dem Gesundheitssystem in 10, 20 oder 30 Jahren? Da müssen wir diese Sorgen und Ängste, die super relevant sind, ernst nehmen. Aber wir können uns auch nicht langfristig dadurch bremsen lassen. Wir müssen Lösungen finden für die Zukunft und für die aktuelle Versorgung. Da bin ich überzeugt davon, dass wir niemals eine hundertprozentige Zustimmung bekommen werden - das ist so, das ist in politischen Entscheidungen so.
Theresa:
Ich würde mich jetzt doch nochmal zu Wort melden und zwar knüpft das eigentlich jetzt auch ganz schön an, zudem was Annika gesagt hat. Die Akademisierung wurde angestoßen und designed von bisherigen, engagierten Berufsschullehrer:innen und Logopäd:innen, die alle in der großen Mehrheit diese berufsfachschulische Ausbildung durchlaufen haben. Die kennen das System von innen, die kommen jetzt nicht von irgendwo heraus und von oben hin und sagen: “So wir müssen jetzt Akademie machen!” Sondern die kommen aus dem System heraus und haben den Wunsch, die Patienten richtig gut zu versorgen und das gesamte System und die Arbeitsbedingungen für die Therapeuten zu verbessern. Ich glaube, dann können wir auch ein Stück weit drauf vertrauen, dass die Menschen, die das machen, die lange Berufserfahrung haben, dass sie dies auch gut gesetzlich umsetzen und da gute Regelungen finden.
Rasmus:
An dieser Stelle sei auch noch mal gesagt, dass HochschuleJetzt! sich nicht dafür einsetzt oder nicht den Wunsch erwecken soll, dass alle Therapeuten, die jetzt gerade keinen Bachelorabschluss haben, dass die quasi ihre Berufsurkunde in der Luft zerreißen sollen. Nein, das soll absolut nicht sein. Wir setzen uns ganz klar dafür ein, dass es auch weiterhin Bestandsschutz gibt. Nur ab jetzt wollen wir eine Veränderung anstreben und das wünschen wir uns alle gemeinsam als Berufsstand voranzubringen und eben nicht Leute aus dem Beruf rauszukegeln, weil es gibt mit Sicherheit viele Kollegen, die keinen Bachelorabschluss haben und trotzdem tolle Arbeit machen.
So funktioniert die Initiative HochschuleJetzt!
Joyce:
Wie genau kann ich mir die Arbeit bei euch im Netzwerk vorstellen? Wie versucht ihr denn genau etwas zu bezwecken und zu bewirken?
Rasmus:
Im Netzwerk gibt es dafür drei Optionen sich zu engagieren. Zum einen den stillen Fürsprecher, das sind einfach diejenigen, die sagen: “Hey, wir finden euer Projekt gut. Wir unterstützen euch, wir haben aber gerade nicht die Zeit oder aus welchen Gründen auch immer die Kraft, uns aktiv einzubringen und zu supporten.” Das wäre dann der Teil der aktiven Supporter sowie Annika, Theresa und ich es sind. Wir bringen uns ein, wir nehmen an allen Netzwerktreffen teil, was die stillen Fürsprecher natürlich auch machen dürfen und sich auch einbringen können. Wir arbeiten in verschiedenen Arbeitsgruppen, die wir gebildet haben. Jetzt zum Beispiel dieses Interview anzunehmen, das wären Aufgaben der aktiven Supporter. Aktive Supporter und stille Fürsprecher sind in der Regel Studierende. Die Leute oder die Therapeuten, die bereits einen Abschluss erworben haben – z.B. ihre Bachelorabschlüsse oder Masterabschlüsse, die könnten sich in der Rolle der Senior Supporter wiederfinden und kommen natürlich auch mit in die Netzwerktreffen. Da ist grundsätzlich jeder herzlich eingeladen, der mal reinhören möchte. Auch von außerhalb - wer Lust hat, sich da einfach mal reinzuklicken, um mal zu hören, was da besprochen wird - jederzeit gern! Meldet euch bei uns, wir schicken euch den Link da gerne zu, sodass ihr mal teilnehmen und reinzuhören könnt.
Ansonsten ist es so, dass wir unsere Messages über Instagram, Facebook und Twitter verbreiten, ansonsten in den Austausch gehen mit verschiedenen Berufsverbänden in unseren Netzwerktreffen, mit Dozenten von verschiedenen Hochschulen - das ist eigentlich das, was in unserem Netzwerk so abläuft.
Joyce:
Wie kann man euch am besten unterstützen? Kann man bei euch Mitglied werden und wie können sich speziell auch Praxen bzw. Praxisinhaber einbringen bei eurem Vorhaben?
Theresa:
Man kann wirklich Teilnehmer bei uns werden, man kann uns auf den sozialen Netzwerken folgen und da auch von den Infos profitieren, die wir da teilen und man kann sich natürlich auch ganz allgemein, auch außerhalb des Netzwerks für die Akademisierung einsetzen. Ein ganz wichtiger Teil wären auf jeden Fall die Berufsverbände. Die Berufsverbände machen ganz viel Lobby-Arbeit für unsere Berufe und die sind auch mit der Politik in Kontakt. Wenn man da Mitglied ist, dann kann man einerseits natürlich seine Meinung innerhalb des Berufsverbandes vertreten, aber man schafft auch finanzielle Voraussetzungen, damit die Berufsverbände professionelle Personen in Verhandlung schicken können und diese Tätigkeit für uns auch machen können.
Ein anderer Punkt wäre auch noch, dass man sich vielleicht bei ver.di - also bei einer Gewerkschaft engagieren oder Mitglied werden kann - ver.di ist für die Heilmittelerbringer bzw. Therapeut:innen eigentlich nicht der primäre Ansprechpartner, aber die Vergangenheit hat gezeigt, dass immer wieder auch mit ver.di Verträge abgeschlossen werden, gerade was die Ausbildung, zwischen Politik und Gewerkschaft oder zwischen Krankenhäusern und Gewerkschaft, wo es dann auch uns ganz konkret betrifft. Deswegen würde es sich eben auch lohnen. Das kann dann jeder selber entscheiden, ob er ver.di quasi da auch seine eigene Meinung innerhalb der Gewerkschaft vertreten möchte.
Ein letzter Punkt wäre noch für Praxisinhaber:innen direkt in der Praxis. Ich habe das selber erlebt, ein total gutes Miteinander zwischen den berufsfachschulisch ausgebildeten und den akademisch ausgebildeten Therapeut:innen. Also ich war in mehreren Praxen und es gab eine gute Atmosphäre vom Miteinander und ich glaube da kann jeder Praxisinhaber auch für sorgen, dass das bei den eigenen Praktikanten dann eben auch sehr gut funktioniert.
Annika:
Also wir im Studierenden-Netzwerk HochschuleJetzt! glauben einfach daran, dass der Weg der Akademisierung unsere Berufe zukunftsfähig machen wird und wir glauben, dass das ein sinnvoller Weg ist. Letztlich befürworten wir jegliches berufspolitisches Engagement. Wir wollen dazu aufrufen, dass sich jeder Praxisinhaber, jeder Therapeut seine Meinung bildet und diese in seinen politischen Entscheidungen vertritt, also in jedem Moment, wo man wählt oder nicht wählt oder wo man sich politisch engagiert oder nicht. Wir brauchen Veränderungen in den Berufen. In jedem Beruf gibt es andere Schwerpunkte, letztlich fußen unsere Berufe alle auf uralten Berufsgesetzen und es muss sich was verändern. Wir glauben, dass die Akademisierung eine umfassende Idee und Lösung dafür ist und wünschen uns, dass die Politik Entscheidungen trifft, die schon lange eigentlich zutreffend sind und immer wieder verschoben wurden und wollen dafür Werbung machen, darüber in Diskussionen gehen. Also bei uns ist man auch willkommen, wenn man vielleicht auch kritische Ideen oder Gedanken dazu hat. Es ist uns wichtig, dass wir in den Austausch treten und eine breite Meinungsbildung sozusagen betreiben.
Joyce:
Vielen, vielen Dank für das Interview und den Einblick in euer Netzwerk! Wir wünschen euch natürlich weiterhin dabei viel Erfolg und werden auch alle Neuigkeiten diesbezüglich weiterhin in unserem Newsticker teilen.
Wenn du jetzt neugierig geworden bist, findest du hier den Instagram-Account, den Facebook-Account und auch die Website.
Wie stehst du zu dem Thema Vollakademisierung der Therapieberufe? Hinterlass uns doch gerne einen Kommentar. Wir freuen uns auf deine Meinung und bis zum nächsten Mal!
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