14. April 2022

Frag den Profi – Initiative Therapeutenkammer: Warum du Teil werden solltest

Ein neues Interview unserer Reihe wartet auf dich: #FragdenProfi

In dieser Episode sprechen Joyce Regnier von Praxis-Profi, Mirjam Franz und Daniele Hoffmann-Kruse -Mitglieder der Initiative Therapeutenkammer – über die Beweggründe, die Aufgaben der Initiative und wofür sie sich einsetzen.

Schau dir unser Interview an:

(Aufgrund technischer Probleme wurden einige Sequenzen des Interviews mit einem Standbild ersetzt.)

Was ist die Initiative Therapeutenkammer?

Joyce: 

Hallo und herzlich Willkommen zu unserem Format #FragdenProfi! Für das heutige Interview spreche ich mit Mirjam Franz und Daniela Hoffmann-Kruse von der Initiative Therapeutenkammer. Ihr selbst beschreibt euch als Ansprechpartner für Heilmittelerbringer:innen, Ärzt:innen, Patient:innen und die Politik.  

Was genau steckt eigentlich hinter der Therapeutenkammer? Was hat es mit dem Thema Selbstverwaltung auf sich und was kann ich als Heilmittelerbringer:in dazu beisteuern? Diese Fragen wollen wir heute im Interview klären. 

Daniela und Mirjam, stellt euch gerne einmal vor und erzählt uns doch zu Anfang, was wir uns genau unter der Initiative Therapeutenkammer vorstellen können und wie diese aufgestellt ist. 

Mirjam: 

Danke erstmal für die Einladung liebe Joyce! Ich bin Mirjam Franz und seit fünf Jahren Physiotherapeutin in einer niedergelassenen Praxis und ich habe berufsbegleitend noch das Studium zur Physiotherapeutin gemacht. Ich bin seit ungefähr drei Jahren mit anderen Therapierenden unterwegs, die Physiotherapie auch berufspolitisch zu begleiten und professioneller zu machen. 

Daniela: 

Hallo Joyce, herzlichen Dank für die Einladung! Ich bin seit 1990 Physiotherapeutin mit zwei abgeschlossenen Studiengängen; der eine diente zur Vertiefung meiner inhaltlichen Arbeit - meiner 20-jährigen Lehrtätigkeit an einer Schule als Dozentin und Ausbildungsleitung einer Physiotherapie-Schule. Das Ziel des zweiten Studienganges war, die Ursache unserer benachteiligten Situation besser zu verstehen. 

Zu der nächsten Frage: “Was ist eigentlich die Initiative Therapeutenkammer?”. Das kann man so beschreiben, dass die Initiative Therapeutenkammer ein Zusammenschluss von Heilmittelerbringer:innen ist – Ergotherapeut:innen, Physiotherapeut:innen, Logopäd:innen und Podolog:innen, von Freiberuflichen bzw. Selbstständigen, von Angestellten und auch von den dazugehörigen Auszubildenden oder Studierenden. Unser angestrebtes Ziel ist es, einen Rahmen für Heilmittelerbringer:innen zu schaffen, in dem sich die Gesamtheit der Heilmittelerbringer:innen zusammenschließen kann, um gemeinsam für die Weiterentwicklung der Berufe einzustehen bzw. den Professionalisierungsprozess weiter voranzubringen.  

Zu der Frage, wie wir aufgestellt sind: Wichtig zu verstehen ist, wir haben Fördervereine in den einzelnen Bundesländern, aber noch nicht in Allen. Da gibt es Fördervereine, die auf Bundeslandebene agieren oder aktiv werden. Dann haben wir aber auch noch einen Zusammenschluss dieser verschiedenen Initiativen von der Landesebene auf Bundesebene einfach mit dem Ziel, dass wir unsere Kräfte bündeln wollen und eine Gesamtvertretung aller Therapeut:innen damit bezwecken. Auch bei der Kammer ist es so, dass es in unserem föderalen Staat so organisiert ist, dass Selbstverwaltung auf Landesebene funktioniert. Also es gibt dann pro Bundesland eine Kammer und die schließen sich dann nochmal auf Bundesebene zusammen, da in der Form eines Vereines, um einfach auch nochmal Ressourcen zu sparen, sich nochmal abzustimmen und kräftiger zu fungieren.  

Mirjam: 

Die Initiative Therapeutenkammer ist ein Zusammenschluss von eigentlich mehreren Länderinitiativen - aktuell sind vorrangig Schleswig-Holstein, Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Baden-Württemberg und Berlin dabei, die sich in ihren Bundesländern dafür einsetzen, dass Therapeutenkammern mitgegründet werden. Wir vernetzen uns bundesweit, um gemeinsam Mehrheiten zusammen zu finden für größere Aktivitäten. Generell sind Kammern Vertretungen von freien Berufen und eine Kammer ist in Deutschland immer erstmal Ländersache. Das heißt, wenn eine Kammer gegründet wird, wie auch bei den Ärztekammern, bei den Apothekerkammern, bei den Architektenkammern - dann ist das pro Bundesland und bei den meisten größeren Gruppen gibt es dann aber noch mal einen bundesweiten Zusammenschluss dieser Kammern. Der wird dann zum Beispiel DIE Ärztekammer genannt bei den Ärzten, ist aber eigentlich an sich keine Kammer mehr, sondern ein Verein und hat dann aber einfach nochmal eine größere Reichweite. So ähnlich ist es auch für die Therapeut:innen angestrebt. 

Welche Beweggründe gibt es für die Initiative?

Joyce: 

Was seht ihr selber denn als die größten Probleme innerhalb der Heilmittelbranche und was waren auch die größten Auslöser, warum ihr euch für die Kammerarbeit entschieden habt? 

Mirjam: 

Für mich ist eine der größten Herausforderungen, dass wir als Therapeut:innen noch nicht als Profession wahrgenommen werden. Also eine Profession ist ein Beruf, durch einen Professionalisierungsprozess wird ein Beruf akademisiert – sprich: Um den Beruf zu erlangen, ist dann ein Studium notwendig. Ein professioneller Beruf organisiert sich in hohem Maße selbst und hat darin auch Gestaltungsfreiheiten und eine Berufsethik - diese Aspekte müssen auf jeden Fall gegeben sein, damit ein Beruf professionell ist. Da sind wir als Therapeuten im Prozess, aber eben noch nicht so richtig angekommen. Ich denke, dass viele der kleineren Probleme, die wir so auch in unserer Branche immer wieder sehen und immer wieder auflodern: Vergütung, auf Augenhöhe kommunizieren mit anderen Gesundheitsfachberufen, evidenzbasiertes Arbeiten, dass das alles so Nebenschauplätze von diesem Professionalisierungsprozess sind.

Daniela, du kannst mich da jetzt gerne ergänzen. 

Daniela: 

Einmal die Fragmentierung unserer Berufe in der Ausbildungslandschaft sowie die Sonderstellung der therapeutischen Gesundheitsfachberufe im Berufsbildungssystem, die der Weiterentwicklung unserer Berufe in Richtung Professionalisierung immer im Weg stehen. Wie ist es sonst zu verstehen, dass unsere historisch gewachsenen Ausbildungsstrukturen eigentlich so angelegt sind, dass wir eine Semiprofession bleiben und dass wir nicht akademisch sind. Ursprünglich sind wir ein Heil- und Hilfsberuf und eigentlich sind wir strukturell so angelegt, dass wir uns gar nicht weiterentwickeln können, dass wir immer abhängig bleiben von der Weisung des Arztes auf der einen Seite und auf der anderen Seite gibt es seit ein paar Jahren immer mehr Weiterbildungsmöglichkeiten und der Ausbau hochschulischer Bildungsangebote nimmt weiter zu. Das heißt also als Beispiel: Seit 2009 ist es in Deutschland möglich, dass wir primär qualifizierende Studiengänge haben in den Heilmittelerbringer-Bereichen. Das ist ja eine Modellklausel, die dann vorübergehend evaluiert werden sollte, dann ist das ganze verlängert worden und mittlerweile sind wir bei der Modellklausel im Jahr 2026 - das heißt 17 Jahre weiter. Da versteht man gar nicht, warum da eigentlich nichts passiert. 

Der größte Auslöser für die Kammerarbeit war für mich persönlich einfach das Gefühl, mit der Wahl des Berufes, die eigentlich mal aus Leidenschaft stattgefunden hat, dass es eigentlich egal ist, wie sehr wir uns anstrengen, wie sehr wir uns weiterbilden oder fortbilden, ob wir studieren - egal was wir machen, dass wir immer in einer Sackgasse landen.

Selbstverwaltung statt Fremdbestimmung?

Joyce: 

Verstehe ich total! In anderen Interviews wurden die Themen, die du gerade angesprochen hast, auch schon mal als Problem genannt wurden. Deswegen finde ich es auch sehr sinnvoll, was ihr tut. Euer Motto ist “Selbstverwaltung statt Fremdbestimmung”. Wie genau setzt ihr dieses Vorhaben um und warum ist gerade das so wichtig für euch? 

Mirjam: 

Zum Thema “Selbstverwaltung statt Fremdbestimmung” kann man ganz klar den Schuh aufgreifen, den Daniela schon oft angesprochen hat. Also der Schuh muss passen in der Vertretung, die wir Therapierenden für uns wählen und da ist es ganz sinnvoll vielleicht nochmal aufzugreifen: Wir sehen gerade in der Therapielandschaft eine extreme Fragmentierung von so vielen Interessensgruppen, wo viele sich für was echt sinnvolles einsetzen, aber halt oft nur einen ganz kleinen Bereich abdecken und deswegen auch nicht so laut gehört werden, vielleicht auch nicht so professionell aufgestellt sind, nicht so viele Ressourcen zur Verfügung haben, sei es jetzt an Menschen oder an Geld. Da müssen wir uns leider auch dazuzählen als Initiative Therapeutenkammer. Wir sind nicht so laut, wie wir gerne wären. Da ist ja im Prinzip der Kammergedanke genau das umgekehrte: Also ein starkes Organ, was für alle spricht und was demokratisch legitimiert ist und alle mitnimmt. 

Fremdbestimmt - so erleben wir uns aktuell. Wir sind aktuell als Therapierende nicht wirklich selbst organisiert, ganz viele Aspekte der Verwaltung liegen woanders – sei es beim Land, das die Prüfung abnimmt bei verschiedenen Fortbildungsangeboten, die sich irgendwie um Weiterbildung kümmern bzw. rangeln. Da wünschen wir uns einfach ein höheres Maß an Organisation, auch natürlich im Optimalfall evidenzbasiert und qualitativ hochwertig. Wie das genau in der Kammer umgesetzt werden kann, dafür gibt es verschiedene Vorbilder und verschiedene Pläne, die dann letztendlich jede Vollversammlung von so einer Kammer auch wieder legitimiert. Also den Weg dahin könnte ich jetzt beschreiben, aber ich weiß nicht, ob das hier gerade Sinn macht oder Daniela, das kannst du auch gleich noch ein beschreiben, da gibt es eben ein paar Ideen, die vorliegen. 

Daniela: 

Also bis jetzt fehlt uns eigentlich der rechtliche Rahmen dazu im Gesundheitssystem die Spielregeln für unsere beruflichen Belange mitzubestimmen oder mitzugestalten und das sieht man bei den politischen Entscheidungen, die die Heilmittelerbring:innen betreffen. Hier wird über unsere Köpfe hinweg entschieden. Das heißt: Wenn man möchte, kann man die Meinung der Therapeuten einholen, aber man ist gar nicht darauf angewiesen oder man muss das gar nicht so machen. Da werden also Entscheidungen, die unsere Belange betreffen über unseren Kopf hinweg entschieden und nur wenn wir eine eigene Vertretung haben oder eine eigene Selbstverwaltung, dann können die Interessen aus den eigenen Reihen bei diesen Entscheidungsstellhebeln in unserem Interesse oder für unsere Interessen getroffen werden. Es ist ja immer wieder das beliebte Beispiel: Wie kann es denn sein, dass gerade im Heilmittelkatalog andere entscheiden, welche Therapien für Patienten bezahlt werden oder welche gut funktionieren und da ist gar kein einziger Therapeut dabei. Das kann eigentlich gar nicht sein. Also zum anderen stellt sich die Frage, wie das sein kann, dass wir gerade von den Ärzt:innen abhängig sind, die dann diese Entscheidung treffen. Aus meiner Sicht ist das ein Befangenheitskonflikt oder auch ein asymmetrisches Verhältnis, was eigentlich nicht in Ordnung ist.  

Mirjam: 

Man könnte noch ergänzen, dass wir damit auch gewährleisten wollen, dass unser Versorgungsauftrag erfüllt ist. Also wir begreifen uns schon als sehr wichtiger Player im Gesundheitswesen und können da für viele Patient:innen präventiv oder sekundärpräventiv und rehabilitativ etwas leisten. Allerdings nur wenn wir gut organisiert und aufgestellt sind. Dafür ist es einfach sinnvoll, wenn Leute Entscheidungen treffen können, die Ahnung haben, was wir tun und was wir leisten können und wie das noch besser gehen würde. Da geht es um Dinge wie Qualitätsmanagement, selbst ein Register führen über die Heilmittelerbringer:innen, selber die Prüfungen abnehmen für die Absolventen von einem Beruf und all das, was Daniela gerade aufgezählt hat, was eben zur Selbstverwaltung gehört. Also daran sollte eigentlich auch eine Politik und die ganze Gesellschaft ein hohes Interesse haben, dass Therapierende sich darum kümmern dürfen. 

Vorteile einer Kammer?

Joyce: 

Was seht ihr selbst denn als die größten Vorteile einer Kammer oder auch an der Arbeit in der Kammer in euren Augen? 

Daniela: 

Also die Kammer gibt dem Berufsstand nach außen eine parlamentarische Stimme wie der Präsident, der dann mit der Kammerstruktur, die ich so vor Augen habe, ehrenamtlich nach außen vertritt. Hinter dieser einen Stimme stehen dann, wenn das pro Bundesland ist - beispielsweise für NRW sind das ungefähr 80.000 Heilmittelerbringer:innen und für ganz Deutschland sind es meiner Meinung nach knappe 300.000 Heilmittelerbringer:innen. Das heißt genau das, was eigentlich sonst immer als Kritikpunkt angemerkt wird, diese Pflichtmitgliedschaft bedeutet andersherum, dass die Gesamtheit der Therapeuten diese demokratische Legitimation ausmachen. Das heißt, jeder kann in der Kammer aktiv werden oder wählt einen Vertreter, der in seinem Sinne agiert und dann nach außen hin diese Meinung vertritt. Diese Organisation der Kammerstruktur hat diesen Vorteil, dass diese Organisation mit den Rechten und natürlich auch mit den Pflichten einer Selbstregulation ausgestattet ist, die so groß ist und so viel Macht und einen solchen Status hat, dass dann nicht mehr einfach über unsere Köpfe hinweg entschieden werden kann.  

Mirjam: 

Man kann dann auch nach außen hin viel klarer kommunizieren - also für die Menschen, die da versorgt werden sollen, dass die auch einfach viel klarer haben: Was ist qualitativ hochwertige Therapie? Wie komme ich daran? Wo sind diejenigen oder wo kriege ich die? Was muss die Person für Qualifikationen haben? Dass das auch nicht so ein langer Weg ist, bis jemand mit einem vielleicht ganz einfachen Krankheitsbild an den oder die richtige Therapeut:in kommt. So kann halt der Bedarf dann zukünftig noch besser gedeckt werden. Unser Anliegen ist wirklich auch sehr patientenorientiert. 

Daniela: 

Im Moment wäre das so, wenn sich ein:e Patien:in beschwert, der hat gar keine Möglichkeit, weil es gibt gar zwar Qualitätsstandards, aber die sind ja nicht verbindlich. Das heißt, mit der Kammer wäre das ganz anders: Da hätten auch die Patient:innen einfach eine ganz klare Regelung, wenn irgendwas nicht richtig läuft. Dann hätten sie eine Anlaufstelle und dann wäre das ein klarer Rahmen - das wäre auch für die Patientensicherheit gut. Die Kammer hat den Vorteil, dass diese erst mal absolut neutral ist. Das heißt also, sowohl für die Interessen der Berufsgruppe eintritt aber auch genauso die Interessen der Patient:innen verfolgt. 

Kritik an einer Kammer?

Joyce: 

Danke auf jeden Fall schon mal für die Antworten auf die Frage! Und jetzt vielleicht auch genau das Gegenteil, weil es gibt natürlich auch oft Vorurteile gegenüber der Kammerarbeit. Zum Beispiel Aussagen wie: “Es wird sich doch durch eine Kammer nichts ändern”, hohe Kosten, dass es keine Anhörungspflicht im G-BA gibt. Was sagt ihr denn zu solchen Argumenten?  

Mirjam: 

Ich kann verstehen, dass Veränderung immer erstmal ein bisschen anstrengend ist und da halte ich in vielen Dingen mit Erich Fried, der mal gesagt hat: “Wer will, dass die Welt bleibt, wie sie ist, der will nicht, dass sie bleibt.” Also wenn wir eine Verbesserung haben wollen, dann müssen wir uns schon auch auf Veränderungen einstellen. 

Auf diese Frage bezüglich Kosten/Nutzen, da zielt es ja ein bisschen drauf ab: Da muss ich ganz klar sagen, dass ist in meinen Augen, das Pferd von der falschen Seite aufgezäumt, weil die Frage ist ja viel mehr, was bekommen wir da? Also was können wir dadurch erreichen, dass wir eine Vertretung in der Kammer hätten und was bringt uns das? Dann kann man darüber nachdenken, was sind wir dafür bereit zu investieren? Was sind vielleicht auch Alternativen? 

Im Detail beantwortet: Aktuell könnte man vielleicht die Bestimmung der Therapierenden ein bisschen so sehen: Wir sind Hochleistungssportler:innen, die total fleißig trainieren, aber irgendwie gar nicht so richtig am Wettkampf teilnehmen und sich dann wundern, warum wir keine Goldmedaille bekommen. Aber da braucht man sich nicht wundern, weil das kommt nicht automatisch. Also man muss schon auch in die richtigen Positionen kommen, um das zu erreichen, was man haben will.  

Daniela: 

Da stellt sich mir ehrlich gesagt die Frage, wer so etwas sagt mit welcher Motivation? Wenn man das mal anguckt: Wenn wir die Ursache unserer benachteiligten Situation im Gesundheitssystem beheben wollen, dann können wir nur an dieser Ursache arbeiten. Dann müssen wir diese Struktur verändern und nur dann haben wir sozusagen ein Werkzeug, unsere beruflichen Belange mitzubestimmen. Alles andere ist wie so eine Symptombekämpfung - man bekämpft einzelne Symptome, aber die Ursache ist noch nicht behoben. Das eigentliche Problem ist eigentlich ein viel größeres und schlägt sich auf das ganze System nieder. Wie Mirjam das mal so schön gesagt hat, das ist wie das Verteilen von Blasenpflastern. Das ändert nichts. Aber wenn wir unsere Berufe wirklich nachhaltig verändern wollen, dann müssen wir sie strukturell erst mal verändern. Also unsere Position im Gesundheitssystem überhaupt einbringen, dass wir bei diesen relevanten Entscheidungen mitreden können. Das können wir nur durch eine Selbstverwaltung erreichen, dadurch auch die Rahmenbedingungen verbessern und unsere Berufe wieder für den Nachwuchs attraktiver gestalten und letztendlich damit die Versorgung der Patienten sicherstellen.  

Mirjam: 

Es gibt natürlich Aspekte, die im deutschen Gesundheitssystem trotzdem bei einem Berufsverband liegen müssen. Zum Beispiel die Vergütungsverhandlungen, so etwas kann eine Kammer nicht machen, muss sie aber auch nicht. Aber das, was die Daniela gerade angesprochen hat, es geht dann um einzelne Schritte in der Gestaltung und die Kammer ist der Schlüssel, um mehr von diesen Aspekten möglichst selber in die Hand zu nehmen. Da geht es dann nicht nur um so einen Einzelschritt wie: Wir wollen höhere Vergütung, sondern da geht es um große Dinge wie die Modellklausel abzuschaffen und eine einheitliche Regelung zu finden, vielleicht sogar eben bundesweit einheitlich zum Zugang zu diesen Therapieberufen oder einheitliche Qualitätsstandards, eine Berufsethik und einfach eine ganz starke Vertretung der Mehrheit durch die Repräsentanten. 

Daniela: 

Die Aufgaben der Berufsverbände und Kammern sind normalerweise ganz klar geregelt. Das heißt, die stehen ja nicht in Konkurrenz, sondern eigentlich können sie sich sogar super ergänzen und arbeiten zusammen für kleine Einzelgruppen, für verschiedene Ausrichtungen. Ob das jetzt die selbstständigen Physiotherapeut:innen sind oder wir könnten den Verband der feministischen Therapeut:innen oder auch der maskulinen Therapeut:innen gründen - das sind ja immer kleine Einzelgruppierungen. Da wäre sogar eine Kammer sehr hilfreich, wenn wir jetzt ein besonderes Gesetz bräuchten, wenn unsere spezifischen Interessen, die gar nicht die Gesamtheit der Therapeut:innen betrifft, sondern nur eine kleine Teilgruppe und wir brauchen vielleicht einen gesetzlichen Rahmen dafür. Dann kann die Kammer und der Verband sozusagen Hand in Hand arbeiten. Das macht Sinn und auch bei den Vergütungsverhandlungen ist das immer so eine Sache, also da gibt es verschiedene Denkansätze, aber auch da wäre es möglich, dass zum Beispiel die Kammer ein Gutachten erstellen würde, was überhaupt eine Behandlung wert wäre und was auf der anderen Seite der Patient dafür bezahlen kann. Dann könnten praktisch die Berufsverbände mit diesem Gutachten gestärkt in die Verhandlung gehen. Das heißt, dass sie auch richtig geschult werden auf diese Verhandlungen. Bislang ist das eher immer ein bisschen schwierig, weil die auch ein Problem mit der Besetzung haben. 

Mirjam: 

Es gibt noch einen weiteren Punkt: Die Verbände haben aktuell ein Mitgliederproblem. Dadurch, dass wir eben viele Verbände haben, sind in den einzelnen Verbänden eben weniger Mitglieder und leider ist auch ein Großteil der Therapeut:innen gar nicht in Verbänden vertreten. Vielleicht ist es zu unpopulär geworden. Ich weiß nicht, ob da eine gewisse Politikmüdigkeit auch da ist, aber wenn durch eine geregelte Mitgliedschaft von allen Therapierenden in einer Therapeutenkammer, alle informiert werden, was gerade berufspolitisch abgeht - ich glaube, dann hätten die Verbände auch wieder mehr Zulauf, weil dann auch erweitertes Bewusstsein dafür da ist: Was machen denn die Berufsverbände für uns? Die setzen sich ja für unsere speziellen Interessen ein. Die Gesichter werden vielleicht bekannter, die Themen präsenter und ich glaube, davon könnte insgesamt die Berufspolitik einfach auch enorm profitieren, also dass sich das gegenseitig befruchtet. 

Daniela: 

Eine Kammer wäre dann auch so groß, sodass die Leute, die dann was für die Kammer machen oder für diesen Bereich arbeiten, eine Aufwandsentschädigung bekommen. Aktuell ist da sehr viel durch ehrenamtliche Tätigkeiten und dadurch haben viele vermutlich gar keine Motivation, überhaupt etwas zu machen. Professionalität bedeutet ja auch, dass das eine gewisse Anerkennung bekommt, also einen äußeren Rahmen, der einfach geschützt ist und der klar geregelt ist. Der fehlt uns absolut und man muss einfach ganz klar sagen, wenn man gegen eine Kammer ist, dann ist die Frage: Was hat man dann für eine Motivation, wo unser Berufsstand hinsoll? Das ist das größte Fragezeichen, also das sind dann solche Einzelsymptome, die da oft angesprochen werden, aber wenn wir unseren Berufsstand praktisch sichern würden, dann bleibt uns eigentlich aus meiner Sicht nichts anderes übrig, als dass wir regulatorische Rahmenbedingungen schaffen, um da eine Organisation zu schaffen. Wir müssen als Gesamtheit des Berufsstandes organisiert werden, darum geht es. 

Wie du ein Teil werden kannst

Joyce: 

Ich verstehe auf jeden Fall euren Ansatz und auch die Argumente, die ihr solchen Leuten gegenüber bringen würdet.  

Dann habe ich auch die vorletzte Frage für euch und zwar natürlich sehr interessant: Wie kann ich mich selbst als Heilmittelerbringer:in positiv einbringen innerhalb einer Kammer(-Initiative)?

Mirjam: 

Aktuell gibt es noch keine Kammer innerhalb der deutschen Bundesländer, aktuell kann man sich in den Initiativen einbringen. Das sind teilweise gegründete Vereine, das ist einfacher zu organisieren. Da gibt es dann Mitglieder, die einen Mitgliedsbeitrag zahlen, den sich der Verein selber gibt. In verschiedenen Arbeitsgruppen kann man Schritte gehen, um mit Politiker:innen in Kontakt zu kommen und mit Politiker:innen und den Berufsangehörigen Infoveranstaltungen zu organisieren etc. Wenn es dann eine Kammer gäbe oder gibt in Zukunft, dann ist jeder erstmal Mitglied, der in einem Heilmittelerbringerberuf ist und kann sich erstmal an einer Wahl beteiligen, weil das eben basisdemokratisch aufgestellt ist, die dann regelmäßig stattfindet kann. 

Man kann auch ein passives Mitglied sein, dass den Beitrag zahlt und die Arbeit dadurch unterstützt, dass man erstmal nur Mitglied ist. Man kann aber natürlich auch aktiv werden in verschiedenen Arbeitsgruppen, kann sich zu Wahlen aufstellen lassen, in Vertretergremien aktiv sein und mitgestalten innerhalb der Kammer. 

Daniela: 

Jeder kann aktiv werden! Einfach an einen Förderverein oder an einen Zusammenschluss wenden, man kann aktiv oder passiv teilnehmen. Indem man zum Beispiel in den Förderverein eintritt und die ganze Gruppe unterstützt, zeigt oder signalisiert man nach außen, dass man hinter dieser Motivation steht, die Rahmenbedingungen gesamtheitlich zu verändern und ganz wichtig ist es, dass wir nur gemeinsam stark sind. Also jede einzelne Gruppe oder jede einzelne Gruppierung, die gute Ideen hat, wird nichts erreichen, weil sie gar keine Schlagkraft hat. Also erst wenn wir uns alle zusammenschließen und übergeordnet für unsere Ziele zusammen eintreten, werden wir eine Veränderung erreichen bzw. wird uns die Politik und auch die Gesellschaft nach außen wahrnehmen. Erst dann können wir uns nach außen zu anderen Berufsgruppen klar abgrenzen. 

Joyce: 

Das hört sich auf jeden Fall schon mal sehr cool an! Meine letzte Frage baut auch darauf auf: Vielleicht sind jetzt bereits einige Praxisinhaber:innen oder Heilmittelerbringer:innen an einer Mitarbeit interessiert, aber haben noch ein wenig Zweifel. Was möchtet ihr unseren Leser:innen bzw. Zuschauer:innen zum Ende des Interviews noch mitgeben? 

Daniela: 

Man kann einfach so flapsig sagen: Der Schuh passt nicht mehr. Wir brauchen einen regulatorischen Rahmen, um die Professionalisierung der Berufe zu ermöglichen und es liegt eigentlich mehr oder weniger an uns Heilmittelerbringer:innen, ob wir das schaffen, uns als Gesamtheit zusammen zu schließen oder wir auf dieser kleinen Ebene bleiben, wo wir weiter nur Blasenpflaster verteilen. Eine Kammer kann einfach ein Werkzeug sein im gesundheitspolitischen System aus meiner Sicht, uns einen rechtmäßigen Patz zu geben und von wo aus dann unsere beruflichen Belange erstmalig selbst mitzubestimmen sind. Und wie gut oder wie schlecht das dann ist, das hängt von den Therapeut:innen selber ab, wie gut wir das dann mit Inhalt füllen. 

Mirjam: 

Ich hatte da meinen AHA-Moment auf dem letzten internationalen Kongress von World Physio, der hat letztes Jahr online stattgefunden und da nochmal so wirklich mit Physiotherapeut:innen in dem Fall weltweit zusammen zu kommen und zu überlegen, wo geht die Reise hin für uns und unsere Gesellschaft in den verschiedensten Ländern, was können wir für eine Rolle spielen mit der Therapie, was können wir damit bewegen? Da wirklich so ganz zukunftsorientiert zu denken, was wollen wir mit unserer täglichen Arbeit erreichen? Als Therapierende:r ist es uns ja auch immer ein Anliegen eben nicht nur die Symptome zu behandeln, sondern dann wirklich an der Ursache anzusetzen. Für mich ist Symptombehandlung in der Berufspolitik: “Noch ein bisschen mehr Vergütung, noch ein bisschen mehr Zeit oder noch ein bisschen mehr hier und da und da noch ein Blasenpflaster hin kleben und so.” Wir brauchen einfach nur einen moderneren Schuh, den wir mitgestalten können, wo wir entscheiden können als professioneller Beruf, wo wollen wir Stimmrechte haben, wo wollen wir hin, wollen wir in den G-BA, wie kommen wir da rein, welche Gesetze brauchen wir, um sinnvoll die Gesundheit unserer Gesellschaft mitzugestalten?  

Das würde ich gerne den Praxisinhaber:innen und Heilmittelerbringer:innen mitgeben, da noch mal zu überlegen: Wo wollen wir hin in Zukunft? Vielleicht, wenn man kurz vor der Rente steht, kann ich mir schon vorstellen, dass das ein bisschen schwierig oder eine Herausforderung ist, über den eigenen Horizont noch hinaus zu denken für die nächsten Generationen. Aber das traue ich euch zu, diesen Schritt auch zu gehen und da wirklich ganz offen noch mal drauf zu schauen, was ist zukunftsweisend an Struktur dafür. 

Wer uns kontaktieren möchte, kann auf jeden Fall auf Instagram vorbeischauen. Wir haben einen bundesweiten Kanal, der für alle Leute in allen verschiedenen Bundesländern einfach erstmal ein Andockpunkt sein kann. Die verschiedenen Initiativen aus einzelnen Ländern haben dann eben auch Kanäle auf Instagram oder bei Facebook. Wir haben eine Discwork-Plattform - eine Plattform für Austausch oder Diskussion. Da kann man auch Telefonräume erstellen, diskutieren und da könnt ihr gerne auch vorbeischauen. Der ist auch auf Instagram verlinkt. Und für so einen groben Überblick haben wir eine Internetseite 

Joyce:  

Dann danke ich euch beiden für das Interview! Auch trotz der technischen Schwierigkeiten, haben wir das doch gut hinbekommen. Vielen Dank auch für den Einblick in eure Arbeit innerhalb der Initiative Therapeutenkammer. 

Bist du bereits schon Teil einer Initiative oder möchtest du nun ein Teil werden? Hinterlass uns doch gerne einen Kommentar und vielen Dank fürs Zuschauen, bis zum nächsten Mal! 

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